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Neuanfang unter dem Hakenkreuz

Das Institut findet 1934 eine neue Heimat und sichere Finanzierung in Stuttgart. Dort geht es eine enge Verbindung mit der Technischen Hochschule ein. Die Autarkie- und Rüstungspolitik des NS-Regimes bestimmen die Arbeit der Forscher von Anfang an. Im Zweiten Weltkrieg gehört das Institut zu den „kriegswichtigen“ Forschungseinrichtungen. Wegen des Bombenkriegs werden 1943 die Institutseinrichtungen an verschiedene Standorte in Schwaben ausgelagert, wo die Arbeit bis Kriegsende 1945 weitergeht.

Chronik

1934: Neugründung in Stuttgart

1935: Eröffnung des Neubaus Seestraße

1939: Einzug in die Erweiterungsbauten

1943: Auslagerung der Teilinstitute

1944: Teilzerstörung der Stuttgarter Institutsgebäude

1945: Kriegsende

Chronik

1934: Neugründung in Stuttgart

1935: Eröffnung des Neubaus Seestraße

1939: Einzug in die Erweiterungsbauten

1943: Auslagerung der Teilinstitute

1944: Teilzerstörung der Stuttgarter Institutsgebäude

1945: Kriegsende

Max Planck Institute

Neugründung in Stuttgart

Auf der Suche nach einer sicheren Finanzierung des Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI) für Metallforschung findet die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) Partner im Land Württemberg. Das international angesehene Institut passt perfekt zur Technischen Hochschule (TH) Stuttgart und den Forschungsinteressen der heimischen Metallindustrie. Nach mehrjährigen Verhandlungen wird man am 21. Januar 1933 handelseinig, neun Tage bevor Adolf Hitler Reichskanzler wird.

Innerhalb eines Jahres schalten die neuen Machthaber die Wissenschaftseinrichtungen gleich. Wegen der rassistischen Politik des NS-Regimes emigriert 1934 der langjährige Förderer des KWI Alfred Merton, der aus einer jüdischen Familie stammt. Georg Sachs, der ehemalige Leiter des Röntgenlaboratoriums und Kandidat für den Direktorenposten des neuen Instituts, scheidet aufgrund der NS-Rassengesetze aus. Neuer Geschäftsführender Direktor wird der junge Industrieforscher Werner Köster, der sein Amt zum 1. Juli 1934 antritt. Er prägt das KWI bis zu seiner Emeritierung 1965.

Eine produktive Symbiose

Das neue KWI besteht aus drei Teilinstituten, denen Professoren der TH Stuttgart vorstehen. Das Institut für angewandte Metallkunde übernimmt Werner Köster zusammen mit einer entsprechenden Professur an der TH. Zwei neue Institute gehen aus bereits bestehenden Lehrstühlen hervor: das von Georg Grube geführte Institut für Physikalische Chemie der Metalle und das Institut für Röntgenmetallkunde unter Leitung von Richard Glocker, das 1937 in Institut für Metallphysik umbenannt wird. Das neue KWI deckt damit alle zentralen Felder der Metallkunde ab und treibt die Physikalisierung der aus der anorganischen Chemie hervorgegangenen Metallforschung voran. Zusammen mit der TH Stuttgart bildet das Institut ein Zentrum für die Ausbildung von Forschungs- und Betriebsingenieuren.

Bücherei 1935
Hörsaal 1935
Werkstatt im Anbau 1935
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Das Institutsgebäude Seestraße

Das erste eigene Institutsgebäude entsteht innerhalb eines Jahres in der Seestraße 75 nicht weit vom Stuttgarter Hauptbahnhof. Hier sitzen der Geschäftsführende Direktor Werner Köster und das von ihm geleitete Institut für angewandte Metallforschung. Auch Kösters Lehrstuhl für Metallkunde ist hier untergebracht. Ein Erweiterungsbau für die Röntgenmetallkunde verbindet das neue KWI-Gebäude mit der TH. Das Institut für Physikalische Chemie der Metalle kommt in der Wiederholdstraße 13 unter. Die Eröffnung der neuen Gebäude in der Seestraße am 21. Juni 1935 ist ein Großereignis, an dem ranghohe Vertreter der KWG, der württembergischen Politik, der Industrie und der NSDAP teilnehmen.

Forschung im NS-Staat

Größter Geldgeber des KWI ist die Wirtschaftsgruppe Nichteisenmetall-Industrie, deren Leiter Otto Fitzner zum Kreis um Heinrich Himmler gehört. Der einflussreiche Industriemanager und SA-Mann dominiert das KWI-Kuratorium, dessen Vorsitz er 1938 übernimmt. Fitzner versorgt das Institut über viele Jahre mit erheblichen finanziellen Mitteln.

Die Erwartung ist klar: Die Forscher sollen die Autarkie- und Aufrüstungspolitik des NS-Regimes unterstützen. Köster selbst wirbt mit der Expertise des KWI auf wehrwirtschaftlich relevanten Gebieten, auch um dem Institut einen Teil der knappen Ressourcen zu sichern. Diese „Selbstmobilisierung“ ist typisch für die deutsche Wissenschaft während der NS-Zeit.

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MPI-IS

Grundlagen und Anwendungen

Das KWI betreibt intensiv Grundlagenforschung. Werner Köster misst systematisch die physikalischen Eigenschaften von Metallen, sein Mitarbeiter Fritz Förster entwickelt dazu neue physikalische Mess- und Prüfverfahren. Richard Glocker und sein Team leisten Pionierarbeit auf dem Gebiet der Forschung mit Röntgenstrahlen. Ulrich Dehlinger entwickelt den Begriff der „negativen Diffusion“ (uphill-diffusion). Das Institut für Physikalische Chemie der Metalle untersucht erstmals Legierungssysteme mittels thermochemischer Messungen.

Die grundlegenden Forschungen des KWI sind allerdings nicht strikt von ihrer industriellen Anwendung zu trennen. Dies zeigen besonders die Arbeiten an Legierungen, die aus Metallen wie Aluminium, Magnesium und Zink bestehen. Diese kommen in größeren Mengen in Deutschland vor und dienen als Ersatzstoffe für importierte Rohstoffe. Auch die am KWI entwickelten Verfahren zur zerstörungsfreien Werkstoffprüfung mit Hilfe von Röntgenstrahlen und elektromagnetischen Messungen werden in der Industrie eingesetzt. Im Rahmen des Vierjahresplans von 1936 gelten diese Arbeiten als „kriegswichtig“.

Im Labor 1935
Der große Magnet von Dr. Winkler 1935
Glühofen im Werkstattgebäude 1935

Gut vernetzt

Werner Köster steigt innerhalb weniger Jahre zu einem einflussreichen Wissenschaftsorganisator auf. 1936 übernimmt er die Schriftleitung der renommierten „Zeitschrift für Metallkunde“ und wird Mitglied im Technisch-Wissenschaftlichen Ausschuss der Wirtschaftsgruppe Nichteisenmetall-Industrie. Ein Jahr später übernimmt er die Leitung der Fachsparte Nichteisenmetalle im Reichsforschungsrat, der zentralen Steuerungsinstanz der Rüstungsforschung im „Dritten Reich“. Ab Dezember 1938 leitet Köster zudem den Fachkreis Metallkunde im Nationalsozialistischen Bund Deutscher Technik.

Während des Kriegs kommen weitere Leitungsfunktionen in Organisationen der Rüstungsforschung hinzu. Kösters Kollege Richard Glocker steht ab 1935 der Arbeitsgruppe Zerstörungsfreie Prüfverfahren, die das Reichsluftfahrtministerium berät. Das KWI ist Mitglied im „Querverbund“ Werkstoffforschung des Ministeriums, der Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung zwecks Effizienzsteigerung eng vernetzt.

Im Krieg

Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 verstärkt das KWI seine rüstungsrelevanten Forschungen. Die Umstellung fällt nach Auskunft Kösters „besonders leicht“, weil die meisten Forschungsprojekte ohnehin als „kriegswichtig“ eingestuft seien. Mehrere Verfahren zur Legierungsherstellung und Werkstoffprüfung sind zu Kriegsbeginn bereits einsatzfähig. Die Forschung beschäftigt sich nun vorrangig mit rüstungsbezogenen Themen, darunter neue Untersuchungen zu Zink als Ersatzstoff für Geschosszünder. Das Reichsluftfahrtministerium steigt zum wichtigsten Finanzier und Auftraggeber des KWI auf und nimmt im Februar 1940 bereits die Hälfte der Forschungskapazitäten in Anspruch.

Die drei Direktoren des KWI-MF, Köster, Glocker und Grube, treten 1940 in die NSDAP ein. Im Oktober 1941 wird das Institut „Rüstungsbetrieb der Luftwaffe“. Der Status als „kriegswichtig“ schützt zahlreiche Institutsangehörige vor der Einberufung oder führt im Verlauf des Kriegs zur Rückberufung vom Fronteinsatz. Auch sieben aus rassistischen oder politischen Gründen verfolgte Mitarbeiter kommen während des Kriegs im Institut unter.

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Kriegsentscheidend

Durch spektakuläre Innovationen wächst die Bedeutung des KWI im Verlaufe des Kriegs. Im Juni 1942 stellt Werner Köster Rüstungsminister Albert Speer im Berliner Harnack-Haus eine von seinem Mitarbeiter Erich Gebhardt entwickelte Legierung von Zink und Aluminium vor, die Kupferlegierungen in Zündern, Führungsringen, Kugellagerkäfigen oder Torpedoschrauben ersetzt. Die Allroundlegierung ermöglicht die Wiederaufnahme der kriegswichtigen Kugellagerproduktion. Anfang 1943 zählt die KWG das Institut für Metallforschung zu den 27 KWI, die „kriegsentscheidende“ Arbeit leisten.

Drei Monate später präsentiert Köster Großadmiral Karl Dönitz die „Förster-Sonde“, ein elektromagnetisches Messgerät, das Wasser- und Landminen sowie Torpedos aufspürt, aber auch als Torpedozünder dient. Andere Vorzeigeprojekte wie frostsichere Panzerminen oder Druckventile für V2-Raketen verschaffen dem KWI-MF höchste Priorisierung und damit zusätzliche Ressourcen. Das KWI wird nun selbst zum Rüstungsbetrieb und fertigt ab 1943 neben der Förster-Sonde auch Werkstoffprüfungsgeräte für die Flugzeugindustrie in Serie.


Georg Sachs (1896‒1960)

Geboren in Moskau als Sohn eines Kaufmanns, wächst Georg Sachs in Königsberg auf, wo er 1914 das Abitur ablegt und sich als Freiwilliger zum Kriegsdienst meldet. Ab 1918 studiert er Ingenieurswissenschaften an der Technischen Hochschule Charlottenburg, wo er 1923 mit einer Arbeit über die Reibung fester Körper promoviert wird. Ab 1924 forscht Sachs am KWI für Metallforschung in Berlin. 1930 wird er Direktor des Forschungslabors der Metallgesellschaft in Frankfurt am Main und erhält an der dortigen Universität 1931 eine Titularprofessur. Aufgrund der NS-Rassengesetze scheidet Sachs, der aus einer jüdischen Familie stammt, 1933 als Kandidat für die Leitung des KWI für Metallforschung aus. 1935 übernimmt er die Stelle des Forschungsdirektors bei den Dürener Metallwerken. Ein Jahr später emigriert er in die USA. Die KWG entzieht Sachs 1938 den 1932 verliehenen Status als Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied, den er 1950 zurückerhält. In den USA arbeitet Sachs zunächst für die Industrie, wechselt jedoch schon bald an wissenschaftliche Einrichtungen. Zuletzt lehrt er als Professor für Metallkunde an der Syracuse University, New York. Sachs veröffentlicht rund 300 wissenschaftliche Arbeiten und leistet grundlegende Beiträge zur modernen Metallkunde.

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Werner Köster (1896‒1989)

Werner Köster stammt aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie. Nach dem Abitur meldet er sich im August 1914 freiwillig zum Kriegsdienst. Ab 1919 studiert er Mathematik, Physik und Chemie und promoviert 1922 bei dem renommierten Metallkundler Gustav Tamman mit einer Arbeit über die Physikalische Chemie der Metalle. Erste Berufserfahrungen sammelt er als Assistent am Kaiser-Wilhelm-Institut für Eisenforschung, geht dann aber 1924 als Forscher in die Industrie. Köster leitet das Laboratorium der Deutschen Edelstahlwerke in Krefeld, als er 1934 zum Direktor des KWI für Metallforschung und Professor für Angewandte Metallkunde an der TH Stuttgart berufen wird, wo er bis zu seiner Emeritierung 1965 tätig ist. Köster bildet zahlreiche Metallingenieure und -forscher aus, die in Wissenschaft und Wirtschaft leitende Funktionen einnehmen. Über drei Jahrzehnte prägt er als Wissenschaftsorganisator und Forscher mit rund 340 wissenschaftlichen Veröffentlichungen die Entwicklung seines Fachs.

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Am Ende

Wegen der alliierten Luftangriffe weist Rüstungsminister Albert Speer persönlich die Verlagerung des KWI an sichere Orte in Schwaben an. Im Juli 1943 zieht das Institut für Metallkunde samt Einrichtung nach Eningen bei Reutlingen und nach Urach, wo auch die Hauptverwaltung unterkommt.

Das Institut für Physikalische Chemie der Metalle kommt in der Staatlichen Höheren Fachschule für Edelmetalle in Schwäbisch Gmünd unter, während die Einrichtungen des Instituts für Metallphysik auf mehrere Standorte verteilt werden.

Die Auslagerung kam keinen Augenblick zu früh: Mitte September 1943 treffen erste Bomben die Institutsgebäude. Am 16. Juli 1944 werden die Einrichtungen in der Seestraße größtenteils zerstört. An seinen neuen Standorten arbeitet das KWI bis Kriegsende weiter.

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